Werke und Erfindende – Kann man sie trennen?

Vielleicht eine Frage, die erst einmal absurd klingt. Beispielsweise kann ein Buch ja nur auf den Markt kommen, weil eine Autorin oder ein Autor das Werk geschrieben hat. Ohne diese Personen würde es die Geschichte also nicht geben. Genauso ist es natürlich auch bei Filmen oder bei der Musik. Irgendjemand muss sich das Ganze ja ausdenken und produzieren.

Doch ist ein Werk – also ein Buch, ein Film oder ein Musikstück - erst einmal erschienen, wird es etwas Größeres. Menschen interpretieren die Geschichten, sie fühlen eine Verbindung zu den Figuren, vielleicht beschäftigen sie sich sogar privat weiter mit der beschriebenen Welt, überlegen sich Fantheorien oder schreiben Fanfiction. Auch Musikstücke können für uns etwas ganz Besonderes sein und noch für viele Jahre stellvertretend für einen tollen Moment stehen. Ein Werk gehört dann nicht mehr nur den Erfindenden und Produzierenden, sondern irgendwie uns allen.
 

"Der Autor ist tot"

Dieser Satz stammt von Roland Barthes aus dem Jahr 1967. Er meinte damit, dass es allein darauf ankommt, was wir Leserinnen und Leser aus einer Geschichte machen und was wir in sie hineinlesen. Das, was sich die Schreibenden dabei gedacht haben, ist dann erst einmal egal. Den Sinn einer Geschichte erzeugen also allein wir als Lesende. Das Konzept kann man auch auf Filme, Musikstücke und andere Kunstwerke übertragen.​​

Manchmal ist es aber irgendwie doch nicht so einfach. Wir haben hier ein paar Beispiele, in denen es vielleicht nicht so einfach fällt, den Erfinder oder die Erfinderin vollkommen von seinem Werk zu trennen.

Was ist, wenn wir mit Aussagen oder Ansichten des Erfinders oder der Erfinderin nicht übereinstimmen?

Die “Harry Potter”-Autorin J.K. Rowling ist dafür wohl das aktuellste Beispiel. Durch verletzende Aussagen in Bezug auf Menschen mit einem Transgender Hintergrund ist die Autorin in den letzten Jahren aufgefallen. Viele Fans waren geschockt. Schließlich bot die Fantasywelt vielen Anhängern der LGBTQ Community einen Zufluchtsort. Ein Ort, in dem es um Mut, Freundschaft und Toleranz geht. Das hat uns die Geschichte vermittelt. Die Aussagen der Autorin passen nicht in dieses Bild und viele Fans wissen nicht mehr, wie sie zu Harry Potter stehen sollen. Für viele ist die Frage, ob Autorin und Werk in diesem Fall getrennt werden können, deswegen von großer Wichtigkeit. Zuletzt gab es große Debatten darüber, ob man das Spiel Hogwarts Legacy spielen sollte oder nicht. Während sich einige ganz klar dagegenstellen (um J.K. Rowling nicht noch mehr Geld in die Taschen zu spülen), trennen andere das Spiel von der Autorin. Sie sehen es eher so, dass sie mit dem Kauf des Spiels auch die Spielentwicklerinnen und -entwickler supporten.

Frau am Schreibtisch

Was ist, wenn der Autor oder die Autorin wirklich tot ist (und andere die Geschichte weiterschreiben)?

Das „Der Autor ist tot“-Konzept kann man natürlich auch ganz wörtlich nehmen und überlegen, ob eigentlich andere ein Werk weiterschreiben dürfen. Wenn wir dabei an Fanfiction denken, wird schnell klar: Das ist sogar alltäglich. Viele Fans haben schon eigene Fanfiction in Foren veröffentlicht und damit ein Werk in ihrem Sinn weitergeschrieben oder verändert. Was ist aber, wenn ein Werk ganz offiziell nach dem Tod des Autors von jemand anderem weitergeschrieben wird? Wenn also auch die Rechte an dem Werk weitergegeben werden? Das ist bei normaler Fanfiction nämlich nicht der Fall.

So war das Ganze beispielsweise bei der „Dune“-Buchreihe. Nach der Veröffentlichung des sechsten Teils verstarb der Autor Frank Herbert im Jahr 1986. Der siebte und letzte Teil des Werks war aber noch nicht fertig geschrieben. Für viele Fans war das natürlich eine Katastrophe. Immerhin: Es lagen bereits erste Aufzeichnungen für den siebten Teil vor. Diese wurden von Herberts Sohn Brian in Zusammenarbeit mit Kevin J. Anderson aufgegriffen und in Form von Kurzgeschichten veröffentlicht. Im Jahr 2007 – also etwa 30 Jahre nach dem Tod von Frank Herbert - erschien dann sogar noch der siebte Band. Der Stil des letzten Buches unterschied sich jedoch stark von seinen Vorgängern und viele Fans waren enttäuscht. Am Ende kann dann also doch niemand das Original perfekt nachmachen. Nicht einmal der eigene Sohn.

Was ist, wenn die Verfilmung eines Buches schon weiter ist, als das eigentliche Werk?

Bei diesem Beispiel denkst du vielleicht an einen bestimmten Namen: George R.R. Martin. Der Autor von „A Song of Ice and Fire“. Seine Buchreihe diente als Grundlage für die erfolgreiche Serienverfilmung „Game of Thrones“. Doch während bei „normalen“ Buchverfilmungen das Buch der Serie immer ein wenig voraus ist, war es in diesem Fall anders. Denn ab der 6. Staffel hat die Serie das Buch überholt!

Während sich viele sicher darüber gefreut haben, nicht noch länger auf eine Fortführung der Geschichte warten zu müssen, waren viele Fans auch unzufrieden. Besonders die letzte Staffel stand bei vielen in der Kritik und einige Fans hoffen, dass die Geschichte in den Büchern doch noch ein anderes Ende findet. Ob es dazu aber überhaupt noch kommt, ist unklar. Immerhin hat George R.R. Martin die Buchreihe seit 2011 nicht mehr weitergeführt.

Was ist nun aber die Antwort auf die Frage? Können wir den Erfindenden von seinem Werk trennen?

Letztendlich gibt es darauf aber keine klare Antwort. Jeder Fan muss hier seinen eigenen Weg finden: Entweder das „Autor ist tot“-Konzept verwenden, dem Fandom den Rücken zukehren oder vielleicht einen Weg dazwischen wählen. Wichtig ist es aber, dass wir die Entscheidung anderer Fans akzeptieren.

Artikel vom 08.05.2023.